I.
Das Wort Zusammenhang wird oft gebraucht, wenn man über das Umfeld von
Künstlern, die geistigen und materiellen Kontexte also spricht, in denen sie
sich bewegen und die auf sie einwirken. Die Rede ist dann davon, welche
Künstler-, Theoretiker- und Kuratorenfreunde man sein eigen nennt, welche
Bücher, Filme und Theorien man rezipiert, welche Bars, Restaurants und
Partys man frequentiert und, noch viel wichtiger, mit wem man über welche
Themen spricht. Galeristen und Sammler fragen ihre potenziellen Künstler
häufig ganz ungeniert danach, mit welchen Leuten sie denn :so abhängen9
würden.
Bezeichnend ist dabei, dass die Rede von Zusammenhängen keinen Unterschied
zwischen privat und öffentlich, Arbeit und Freizeit, Politik und Vergnügen
macht. Wer in der Kulturhysterie arbeitet, bewegt sich jenseits möglicher
Entfremdung und kann auf bürgerliche Unterscheidungen getrost verzichten.
Nur wer dort eben keinen Zusammenhang hat, oder gar den falschen, hat ein
Problem und wer nicht darauf achtet, seinen Zusammenhang zu pflegen, läuft
Gefahr, eines zu bekommen. Die Zusammenhänge legen zudem fest, in welchen
formalen und ideologischen Grenzen die jeweilige Kunst sich zu bewegen hat:
Mal :politisch9 jenseits jeder Form, mal :politisch9 mit viel Form, mal nur
Form... plus die jeweiligen Theoriemodelle, die Moden folgen und
verschwinden und wieder trendy werden wie Miniröcke, Schlaghosen oder
Kurzhaarfrisuren.
Wahrhaft bedeutsam aber sind Zusammenhänge am Ende wohl einfach im Hinblick
darauf, wie gegenseitige Inspirationen laufen und wieviel Spaß man dabei
haben kann. Es gibt nämlich auch richtig lustige Zusammenhänge.
Kippenbergers Zusammenhänge zum Beispiel scheinen allerdings retrospektiv
nur bis zu dem Punkt lustig, voller Charme und Brillanz gewesen zu sein, an
dem einzelne Protagonisten entweder berühmt wurden oder eine Leberzirrhose
bekamen. Oder beides. Wer an den Rändern verzweifelt ist, weiß kaum noch
jemand auf den Partyfotos werden sie nicht mehr erkannt. Sie sind zu
Statisten geworden, die zwar vielleicht auch Guy Debord gelesen und das
gleiche Bier ihre Kehlen hinuntergegossen haben, aber trotzdem nie ein Werk
von Gewicht ihr eigen nennen durften. Der Kunstbetrieb ist voller Hysterie.
Aber auch voller Sehnsucht nach den Geniestreichen, die anscheinend nur
jenen vorbehalten waren, die ihr Subjekt noch selbstidentisch denken
durften.
In Olga Lewickas Malerei-Installation nun blickt der große Connaisseur
Kippenberger auf einen von ihr gesetzten, neu erschaffenen, also fiktiven
zwar, gleichwohl aber alles andere als beliebigen Zusammenhang. Olga Lewicka
hat so widersprüchliche Positionen wie die von Elke Buhr, Jörg Heiser,
Martin Kippenberger, John Miller oder Miroslaw Ratajczak ihrer jeweiligen
Zusammenhänge entrissen, um gänzlich neue zu stiften. Für einen Moment
scheinen darüber hinaus auch noch ganz andere Zusammenhänge der Realität auf
den Kopf gestellt. Das Sekundäre, der Kommentar, die Kritik, die
Selbstauskunft werden zur Primärquelle, zum Sujet der Bilder erhoben. Damit
verleiben sich diese Bilder ein, und parasitieren so an dem, was sonst immer
nur von ihnen zehrt; den "Betrieb" und :die "Kritik" also
etwa sowie die
unkontrollierbaren Zusammenhänge ihrer Rezeption.
II.
Das ebenso kokette wie listige und komplexe Verhältnis der Bilder zu den
wiedergegebenen Texten wiederholt sich im Verhältnis zu ihrer bildnerischen
Wirkung. Dem Duktus nach wiederholen die Bilder Merkmale modernistischer
Malerei, die unbedingt reine Malerei sein will, dann aber doch wieder auf
den Text zurückfällt. Wer sehen will, muss lesen, hat die Farbe vor sich und
folgt der Schrift.
Unter kommunikationstheoretischen Vorzeichen teilt Schrift sich in eine
Produktions- und in eine Rezeptionsseite in Schreiben und Lesen als
dialogisch aufeinander bezogene Handlungen. Das Lesen braucht Zeit und folgt
der Linearität der Schrift. Auch das Bild wird gemalt und dann betrachtet.
Doch während in der Malerei Untergrund und Gezeichnetes als
gleichberechtigte Antagonisten agieren, dominiert die Schrift ihren Grund.
Sie tut es auch deshalb, weil sie durch einen Farbkontrast in der Regel
schwarz auf weiß vom Grund geschieden ist. Im Falle der hier präsentierten
Bilder ist die Schrift jedoch durch die Farbgleichheit mit ihrem Grund in
einer vollständigen Camouflage mit ihrem Träger amalgamiert. Andererseits
sind die Buchstaben direkt aus der Tube gedrückt und daher, wie ein Relief,
erhaben auf die Leinwand gesetzt. Sie erlangen ihre Lesbarkeit durch ihre
räumliche Präsenz, durch ihren plastischen Charakter. Durch einen Effekt
also, der normalerweise durch die malerische Illusion erst aufwendig erzeugt
werden muss. So ergibt sich eine Skriptur, die wie die Druckerschwärze der
Buchstaben auf dem Papier steht nur in der Dimension potenziert; malerische
Gesten der Schrift, deren hybride Form zwischen ornamentalen Linien und
definierten Schriftzeichen changiert und oszilliert. So entsteht ein
Geflecht aus Linien, Absätzen, Satzzeichen und Zeilen, dessen Regelmäßigkeit
und Richtung eine Schrift vorstellt, deren Zeichen Informationen
transportieren und zugleich doch auf ihrem graphischen Charakter bestehen,
der sich ihrer schnellen Rezeption widersetzt aufgrund ihrer Tarnung, der
Farbe der Malerei.
Diese Bilder wollen ganz und gar Malerei sein, sinnliche Farbe, Form und
Komposition wirken lassen. Ihre malerischen Gesten legen Referenzen zu der
modernistisch erhabenen Malerei eines Robert Ryman nahe. Kalt und in ihrer
theoretischen Unterfütterung wunderschön, reißen die Schrift-Bilder die
eigentliche Arena der Schrift, den Schauplatz von Sinn, von Verständlichkeit
und Lesbarkeit auseinander. Die intentionale und originär innerliche,
geistige Handlung des Lesens, die der Aufnahme von Sprache über
schriftlicher Zeichen dient, wird gestört. Die Wahrnehmung des Textes,
eingebettet in ein erhaben sinnliches Feld der Malerei, wird erheblich
verlangsamt. Solange die Schrift in der Camouflage der Farben aufgeht, kann
die Betrachtung, befreit von ihren hermeneutischen Voraussetzungen der
Sinnproduktion, sich auf noch ganz andere, potentiell unabschließbare
Prozesse der Sinnbildung öffnen. Gelangt die kalte, entfremdete Schrift zur
Lesbarkeit, gerät der Betrachter/Leser in die hyperaktive Rezeptionslage,
in
der die Kontemplation der Hysterie weichen muss. Die paradoxen
Bilderschriften von Olga Lewicka können die Hysterie des Kunstzusammenhangs
nicht außer Kraft setzen, doch in ihrer selbstbewussten Reflexion unter den
listigen Augen Kippenbergers wird sie für einen Moment ausgesetzt und
verzögert und kann sich beruhigen. Wir sollten, ja können weiter malen, und
schreiben.
Matthias Mühling, Hamburger Kunsthalle